Mittwoch, 8. September 2010

Eine Lehrstunde aus dem Hause "Pixar"


Gestern fand, wie berichtet, zum zweiten Mal die "Content Award"-Verleihung statt – heuer allerdings mit einer Neuerung: Zusätzlich zur Preisverleihung gab es auch eine „Content Conference“. Ab elf Uhr vormittags konnten Besucher an Vorträgen und Diskussionen zu Themen wie Animation, animierte Kurzfilme und Spieleentwicklung teilnehmen. Als prominentesten Sprecher konnten die Veranstalter William Sheffler, Technical Director der Pixar Animation Studios, gewinnen. Sein Thema: „The Process of Building Amazing Characters at Pixar“. Hörte sich interessant an, also machte ich mich auf den beschwerlichen Weg vom 19. Bezirk in den dritten.

Pixar-Maskottchen: Luxo und Luxo, Jr.


Um es vorweg zu nehmen: Shefflers Vortrag war sehr technisch. Den meisten seiner Ausführungen konnten wohl nur die vereinzelt anwesenden Entwicklergeeks folgen. Alle anderen freuten sich über gelegentliche Erwähnungen bekannter Filmtitel und die ein oder andere „Behind the Scenes“-Anekdote, von denen Sheffler einige zu erzählen hatte.

Bill Sheffler bereitet sich auf seinen Vortrag vor.


Seit 1999 arbeitet der Preisträger des Visual Effects Society Awards bei Pixar. Dabei hat er an fast allen großen Produktionen von „Toy Story 2“ über „Findet Nemo“ bis hin zu „Ratatouille“ und „Oben“ mitgearbeitet. Die Ursprünge des Studios liegen natürlich noch viel weiter zurück: Bereits mit „Luxo Jr.“ aus dem Jahre 1986 wurde der Grundstein zur heute erfolgreichsten Animationswerkstatt der Welt gelegt (der Titelheld ist heute das Firmenmaskottchen, das in jedem Pixar-Vorspann zu sehen ist). Der Kurzfilm (zu sehen hier) besteht aus knapp zwei Minuten Animation, die vollständig in Programmiersprache geschrieben werden mussten, ohne die Hilfe von Modellierungsprogrammen – die gab es nämlich zu der Zeit noch nicht. Eine unvorstellbare Sisyphusarbeit!

Nach einem kurzen Ausflug zu den Anfängen von Pixar, legt Sheffler auch schon los: Er spricht von mdl-Codes, Topologies, Rigging, der Entwicklung des bis heute genutzten Toolsets Gappetto, das das ältere Programm PET ablöste. Kurzum: Würde er Chinesisch sprechen, verstünden die meisten Anwesenden genauso viel. Aber lauscht selbst:



Klar, ne?

Doch letzlich können auch Nichtauskenner aus Shefflers Vortrag etwas mitnehmen: Zum Beispiel, dass Pixar nur bei jedem zweiten Film auf technische Innovation setzt. Waren die Animationen in „Toy Story“ noch relativ simpel, so stellte der Nachfolgefilm „Das große Krabbeln“ bereits einen großen Sprung nach vorne dar: Die Figuren hatten mehr Konturen, Schatten waren besser herausgearbeitet, die Gesichtsausdrücke detaillierter. „Toy Story 2“ verfeinerte die Animationstechnik von „Das große Krabbeln“, lieferte aber keine erwähnenswerten technischen Innovationen. Erst bei „Die Monster AG“ sah man wieder, dass Pixar sich visuell weiterentwickelte (etwa am kompliziert herausgearbeiteten Fell des Monsters Sulley). Und so geht es bis heute abwechselnd : Für einen Film wird revolutionäre neue Animationstechnik entwickelt, im nächsten wird diese perfektioniert.

James P. Sullivan aus "Die Monster AG". Seine Freunde nennen ihn Sulley.
 

Eine Frage, die ich mir oft stelle, ist, wie Pixar das gelingt, was unzählige Sommerblockbuster nicht schaffen: Originelle Filme zu machen, bei denen die Handlung im Vordergrund steht und nicht die Effekte. Darauf geht Sheffler am Ende seines Vortrages ein: Man hält sich sehr genau an den klassischen Filmaufbau in drei Akte. (Wer darüber mehr erfahren möchte, dem sei Syd Fields Standardwerk übers Drehbuchschreiben empfohlen.) Am Ende jedes (genau getimeten) Aktes kommt es zu einem Einschnitt, der die Harmonie der Geschichte unterbricht und den Zuschauer in Aufregung versetzt. Mit der Animation sollen die jeweilige Stimmung untermalt werden. Tatsächlich wird sogar ein eigenes „depth script“ entwickelt, in dem sämtliche Szenen nach ihrem emotionalen Gehalt bewertet werden.

Sheffler erklärt es anhand dieser Szene aus „Oben“: Als die Figur Carl am Anfang das Tagebuch seiner verstorbenen Frau in die Hand nimmt, sind die Farben verwaschen und die „Kamera“ ist distanziert. Je mehr er aber in dem Buch blättert, desto mehr beginnt er zu begreifen, dass für seine Frau das Leben mit ihm das größte und schönste Abenteuer war. Ein „uplifting moment“ für Carl – und den Zuseher. Am Ende der Szene sind die Farben freundlich und kräftig, und das lächelnde Gesicht des alten Mannes ist in einer Großaufnahme zu sehen.

„Ja, wir manipulieren unser Publikum“, lacht Sheffler. Die Technik unterstützt die Emotionen, die die Geschichte vermitteln soll und verkommt dadurch nie zum Selbstzweck. Genauso, wie es eben sein sollte. Könnte jemand das Memo an Michael Bay weiterleiten?

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